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EIN KREATIVER ZEITREISENDER.

Der Phonetiker und Künstler GEORG HEIKE ist verstorben

Am 15. Januar 2023 ist Prof. Dr. Georg Heike (geb. 21. Juli 1933 in Łódź) verstorben. Er war ein international anerkannter Phonetiker und Sprachwissenschaftler, und hat sich darüber hinaus als Musiker und Komponist bestätigt.

 

Von 1969 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1998 leitete er das Institut für Phonetik an der Universität zu Köln. Sein Sachverstand auf dem Gebiet der Sprachanalyse und Spracherkennung war auch bei einigen brisanten Prozessen vor Gericht gefragt.

 

Neu in der Phonetik-Forschung waren damals zwei seiner Projekte: Heike hat die akustischen Eigenschaften des Rheinischen Akzents in Köln (die sogenannte "rheinische Schärfung") herausgefunden. Damit fing seine Dialektforschung an. Darüber hinaus entwickelte er ein Computermodell des sichtbaren Artikulationsvorgangs für das Artikulationstraining von Gehörlosen und bei Sprachverlust durch Gehirnschäden, das sogenannte DYNAMO (dynamisches Artikulationsmodell), später ergänzt durch hörbare synthetische Sprache (LISA = lautschriftinterpretierende Sprachausgabe). Auch hierbei war ihm auch eine praktische Anwendung wichtig, von der die Gesellschaft profitierte.

 

Heikes Interesse galt neben Phonetik auch Linguistik, Physik, Mathematik, Informatik, Kunst und Musikwissenschaft. Sein interdisziplinäres Verständnis und Tun bewirkten, dass sich am Institut für Phonetik unter seiner Ägide Mitarbeiter, Forscher und Studenten aus verschiedenen Disziplinen versammelten.

 

Bereits in seiner Jugend interessierte er sich sehr für Musik und nahm instrumentalen wie auch theoretischen Unterricht (Geige, Klavier, Harmonielehre, Kontrapunkt). Nach dem Abitur am Bonner Beethoven-Gymnasium studierte er Musikwissenschaft (Joseph Schmidt-Görg), Phonetik und Kommunikationsforschung (Werner Meyer-Eppler) sowie Psychologie (Friedrich Sander) in Bonn. Von 1956 bis 1960 besuchte er die Darmstädter Ferienkurse, offiziell als Internationale Ferienkurse für Neue Musik bekannt. 1960 promovierte er bei dem Physiker, Informatiker, Kommunikationsforscher und Phonetiker Werner Meyer-Eppler.

 

Die Schul- und Studienjahre fielen in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich in Westdeutschland die musikalische Avantgarde mit wachsender Energie formierte und internationale Bedeutung erlangte. Und Georg Heike hatte das Glück, nah an ihren Quellen und wichtigen Zentren zu sein.

 

Die Begegnung mit Meyer-Eppler trug wesentlich zu seinem Interesse an zeitgenössischer und elektronischer Musik bei. Denn sein Promotor hielt unter anderem Vorträge bei den Darmstädter Ferienkursen und unterstützte – neben Robert Beyer und Fritz Enkel – mit seiner Fachkompetenz die Gründung des Studios für Elektronische Musik, das dank der Bemühungen von Herbert Eimert 1951 beim Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) entstand.

 

Seit Mitte der 1950er Jahren war Heike auch als Musiker (Geige, Klavier) und Komponist tätig. Er engagierte sich intensiv für Neue Musik und gehörte dieser Szene an. In den Kölner Kursen für Neue Musik wirkte er gemeinsam mit Karlheinz Stockhausen als Dozent. Er organisierte auch einige Konzerte der jungen Avantgarde. Bereits 1957/58 fand die Aufführung seiner Kompositionen an der Universität in Bonn statt: Studie IV für 2 Klaviere spielte 1958 dort das Virtuosen-Duo der zeitgenössischen Musik, die Brüder Aloys und Alfons Kontarsky. In demselben Jahr führte Aloys Kontarsky auch das Boffklant für Klavier im Musikalischen Nachtprogramm des WDR auf. In diesem Sprachrohr der Avantgarde leistete Heike einen „informations-theoretischer Beitrag zur Frage der Komposition als Rechenprogramm: Können Elektronengehirne komponieren?"

 

Musik und Sprache – diese beiden Interessenbereiche liefen sein ganzes Leben lang parallel und waren miteinander verflochten, was sich in Forschung, theoretischen Überlegungen, Veröffentlichungen, Kompositionen, musikalischen Analysen von Sprach-und Vokalkompositionen niederschlug. Der Sprach-und Raummusik war auch eine Reihe von Konzerten in den Jahren von 2000 bis 2003 gewidmet, die Heike gemeinsam mit einigen anderen Musikern, der Universität zu Köln und der Kölner Initiative KunstWerk veranstaltete.
 

Allerdings geriet das Komponieren während seiner beruflichen Laufbahn als Leiter des Instituts für Phonetik in den Hintergrund, um nach seiner Emeritierung mit vervielfachter Intensität aufzubrechen. Dennoch gab es schon ab 1993 neue Aufführungen. Sein Oeuvre umfasst überwiegend Kammerkompositionen für kleinere Besetzungen, in denen sich der Musiker Heike sehr gut auskannte, da er jede Woche ein paar Mal musizierte, in Duetten, Terzetten, Quartetten, Quintetten … Darüber hinaus schuf er Lieder, phonetische Kompositionen und drei Orchesterwerke. Mit derselben Klarheit und Einfallskraft, mit der er seine wissenschaftlichen Texte verfasste, schuf er musikalische Werke mit einer erkennbaren Handschrift.

 

Musik war sein Lebenselixier. Durch sie fand er auch (immer neue) Freunde, die ihn bis an sein Lebensende begleiteten. Obwohl Georg Heike ein überzeugter Verfechter der zeitgenössischen Musik war, stand er ihr nicht unkritisch gegenüber; Texte wie Der Neue Kitsch oder Generierung von Publikum für die Neue Musik belegen dies.

 

Kreativ und experimentierfreudig ging er durch das Leben, und wenn er sich für etwas interessierte, dann mit großem Engagement, wissenschaftlicher Neugier und Präzision. Noch während seiner Tätigkeit an der Universität zu Köln und auch später baute er einige Streichinstrumente: Geigen, Bratschen, Celli. Den damaligen Mitarbeitern der Kölner Universität, Kollegen, seinen Studenten und Freunden bleibt er als leidenschaftlicher Motorradfahrer im Gedächtnis, der gerne seine Fahrzeuge selbst reparierte. So einen Professor gab es damals an Kölner Universität nicht. Er war wirklich eine Ausnahme. In den letzten Jahren schuf Heike darüber hinaus zahlreiche Porträts und Bilder.

 

Georg Heike ist Autor von Standardwerken der Phonetik, Phonologie, Sprachlichen Kommunikation und linguistischen Analyse sowie der Musik (Musiksprache und Sprachmusik). Alle Informationen über sein wissenschaftliches und künstlerisches Oeuvre sind weiterhin auf seiner Homepage zu finden (www.georg-heike.de).

 

Die Freiheit des Geistes hat Georg Heike stets vorgelebt und andere darin unterstützt, ihren eigenen Weg zu gehen. Er wird als brillanter Denker, Wissenschaftler und vielseitiger Künstler in Erinnerung bleiben. Feinsinnig, bescheiden, offen für Neues, hilfsbereit und respektvoll Anderen gegenüber. Auch als ein aufmerksamer Zuhörer, der seine Meinung, wenn nötig, klar zum Ausdruck bringen konnte.

 

 

 

Dr. Marietta Morawska-Büngeler                                                                                                     

Journalistin

23.01.2023

 

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